»Mich regt das Schweigen von Europa auf, das gerade den Friedensnobelpreis erhalten hat, und nichts sagt, obwohl es hier ein Massaker gibt, bei dem Menschen sterben, als sei es ein Krieg.«
Giusi Nicolini, Bürgermeisterin von Lampedusa, 2012
Basis für den Umgang mit Flüchtlingen in Europa ist die Dublin-Verordnung, die aktuellste Fassung Dublin III ist seit dem 1. Januar 2014 in Kraft. Die Verordnung legt fest, welcher Mitgliedsstaat für die Bearbeitung eines Asylantrags zuständig ist. Verantwortlich ist in der Regel das Land, das die Einreise eines Flüchtlings ins »Dublin-Gebiet« zugelassen hat. Sollte ein anderes EU-Land auf der Reiseroute gelegen haben, kann durch Übernahmeer- suche die Rückführung in den zuständigen Staat erbeten werden, was in Deutschland die Regel ist. Die Staaten an den Außengrenzen der EU werden durch diese Bestimmung dazu animiert, die Grenzen möglichst undurchlässig zu halten und Flüchtlinge brutal abzuwehren. Begleitend dazu bieten die Staaten am Rande der EU den Flüchtenden zur Abschreckung oftmals extrem schlechte Lebensbedingungen – abgesehen davon, dass sie angesichts der Zahl der Flüchtlinge schlichtweg überfordert sind. Statt der Fluchtursachen rückt so mehr und mehr der Reiseweg in den Mittelpunkt.
»Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass wir es dabei mit autoritären Regimen zu tun haben, mit Diktaturen. […] Aber sie bekommen von uns
keine politische oder demokratische Legitimation. Wir konfrontieren sie nur mit ihrer Verantwortung.«
Dimitris Avramopoulos, EU-Kommissar für Inneres und Migration
Zum Zweck der Abwehr von Flüchtlingen arbeitet die EU auch mit Staaten zusammen, von denen aus Menschen sich Richtung Europa auf den Weg machen und schreckt dabei auch nicht vor der Kooperation mit Ländern zurück, die für schwere Menschenrechtsverletzungen bekannt sind. Im Rahmen des sogenannten Khartum-Prozesses sollen in Ländern wie Eritrea oder dem Sudan Polizeibeamte geschult und Strafverfolgungsbehörden unterstützt werden, um Fluchtbewegungen Richtung Europa zu verhindern.
Auch eine engere Zusammenarbeit mit der Türkei ist der EU trotz massiver Menschenrechtsverletzungen, dem Krieg gegen die Kurden und der fehlenden Pressefrei- heit im Land angesichts der »Flüchtlingskrise« eine Option. Im Oktober 2015 hat sich die EU mit der türkischen Regierung über Möglichkeiten, Flüchtlinge von der Weiterflucht nach Europa abzuhalten, verständigt. So ist die Türkei verpflichtet, die Situation von Flüchtlingen im Land zu verbessern, um den Anreiz, weiter in die EU zu reisen, zu verringern. Dar- über hinaus soll das Land in Zusammenarbeit mit der EU seine Grenzen kontrollieren. Im Gegenzug erhält die Türkei eine finanzielle Unterstützung in Höhe von drei Milliarden, auch andere Optionen wie die Erleichterung der Visumspflicht für Türken oder die Möglichkeit, als sicheres Herkunftsland eingestuft zu werden, sind in der Diskussion.
Carrier Sanctions:
Sanktionssystem für Beförderungs- unternehmen, vor allem Fluggesellschaften. Diese werden unter Strafandrohung dazu gezwungen, die Aufenthaltspapiere ihrer Kunden zu überprüfen. Bei Transport in den Schengen-Raum ohne gültigen Pass oder Visum ist das Unternehmen verpflichtet, den Kunden auf eigene Kosten an den Ursprungsort zu befördern und muss zusätzlich ein Bußgeld entrichten. Da Fluglinien- mitarbeiter jedoch nicht berechtigt sind, Asylgesuche entgegenzunehmen, wird auf diese Weise eine Grenze weit vor dem Schengen-Raum gezogen, die gegen das Nichtzurückweisungsprinzip verstößt.
Die Kosten der Abschottung
Seit dem Jahr 2000 hat die EU folgende Beträge ausgegeben, um Flüchtlinge fernzuhalten:
11.300.000.000 € für Abschiebungen
955.000.000 € für Koordination der Grenzkontrollen, davon 670.000.000 für Frontex
226.000.000 € für Ausrüstung der Grenzkontrollen
230.000.000 € für Forschungsprojekte zur Aufrüstung der Außengrenzen
74.658.000 € Zahlungen an Staaten in Nordafrika, um Flüchtende an der Überfahrt nach Europa zu hindern
76.000.000 € für Schutzzäune an den Außengrenzen von Spanien, Griechenland und Bulgarien
16.000.000.000 € haben Flüchtende im gleichen Zeitraum bezahlt, um nach Europa zu gelangen. 30.000 von ihnen starben bei diesem Versuch an den Außengrenzen
Quelle: The Migrant Files
»Die Flüchtlingskrise bietet für die christ lichnationale Ideologie die Gelegenheit, wieder die Dominanz zu gewinnen – nicht nur in Ungarn, sondern in ganz Europa.«
Viktor Orbán