Dortmund, 08.09.2015
Ein weiterer Sonderzug mit Flüchtlingen die über Ungarn und Österreich nach Deutschland gelangten, kommt in der Nacht in Dortmund an und werden nach einer kurzen Pause in einem Kulturzentrum mit Bussen weiter in Notunterkünfte in ganz NRW verteilt. Das völlig überlastete Ordnungsamt der Stadt wird dabei von rund 25 Bundeswehrsoldaten unterstützt. 
Foto: Roland Geisheimer / attenzione

Geschichte der deutschen Asylpolitik

»Politisch Verfolgte genießen Asylrecht« heißt es seit 1949 in Artikel 16 des Grundge- setzes. Die bewusst großzügig gestaltete Formulierung, eine Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus, wurde schon in den 1950ern aufgeweicht, als viele Schutzsuchende statt Asyl lediglich einen Duldungsstatus zugesprochen bekamen.

Ab Ende der 1970er stiegen die Zahlen von Asylsuchenden, von rund 30.000 Asylan- trägen 1978 auf 90.000 im Jahr 1980. Die damalige sozialliberale Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt erließ erste restriktive Maßnahmen, verschärfte die Visumspflicht und führte den Zwang der Lagerunterbringung ein.

Im Laufe der 1980er stieg nicht nur die Zahl der Asylsuchenden weiter, auch die politische Debatte verschärfte sich, die »Asylflut« wurde zum Wahlkampfthema, rassistisch geprägte Kampagnen gegen das Asylrecht bestimmten diese Zeit. Mit Folgen: Auf diesem Nährboden kam es ab 1990 zu unzähligen Pogromen gegen Migrant_innen mit vielen Toten. Die Politik diskutierte derweil über Verschärfungen des Asylrechts, um dem »Asylmissbrauch« zu begegnen. Mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP wurde am 26.5.1993 die Änderung des Grundgesetzes beschlossen und unter anderem die »Drittstaatenregelung« und das »Flughafenverfahren« eingeführt.

Seit mit der Grundgesetzänderung 1993 die Weichen gestellt worden sind, hat es immer wieder kleinere Verschärfungen des bestehenden Rechts gegeben, teilweise durch die Anpassung an die Dublin-Abkommen, teilweise aus eigener Initiative. Zuletzt wurden am 1. August 2015 das »Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthalts- beendigung« und am 24. Oktober das »Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz« eingeführt. Innenminister Thomas de Maizière über das neue Gesetz zum Bleiberecht: »Das Gesetz enthält zwei klare Botschaften: Bleiberecht für gut integrierte und rechtstreue Ausländer einerseits und Aufenthaltsbeendigung für diejenigen, die nicht schutz- bedürftig sind, andererseits.«
Schon kurz nach Inkrafttreten wurde über weitere Verschärfungen debattiert, um den »Zustrom« der Flüchtlinge deutlich zu begrenzen, das sogenannte Asylpaket II. Die sexistischen Übergriffe in Köln und anderen Städten in der Silvesternacht wurden zur Untermauerung der Notwendigkeit neuer Gesetze instrumentalisiert. Im Januar 2016 hat sich die Große Koalition auf schnelle Sonderverfahren in bestimmten Fällen, kürzere Einspruchsfristen und noch zügigere Abschiebungen, auch im Falle lebensbedrohlicher Erkrankungen, die Zuweisung des Wohnsitzes und den Ausschluss vom Asylverfahren bei Residenzpflichtverstoß im Rahmen des Asylpaket II geeinigt.

Todesopfer rechter Gewalt

Mindestens 180 Todesopfer rechter Gewalt zählt die Amadeu Antonio Stiftung seit der Wende, die Dunkelziffer liegt weitaus höher.

Flughafenverfahren

Besonders kurzes Asylverfahren im Transitbereich eines internationalen Flughafens. Der Asylsuchende darf den Flughafen bis zum Ende des Verfahrens nicht verlassen und wird bei einem negativen Bescheid von dort wieder abgeschoben.

Drittstaatenregelung

Bereits lange vor EU-weiten Vereinbarungen im Dublin-Abkommen legte Deutschland fest, dass, wer über einen »sicheren Drittstaat« einreist, dort Asyl beantragen muss.

Asylbewerberleistungsgesetz

»Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren«, entschied das Bundesverfassungs- gericht 2012, und stellte damit klar, dass die vorherigen Leistungen für Geflüchtete, die weit unter den Hartz-IV-Regelsätzen lagen, gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstießen. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist ein Instrumenta- rium der Abschreckung. Es sieht vor, dass Geflüchtete vorrangig Sachleistungen erhalten, Lebensmittel- und Hygienepakete, sowie in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, bis sie nach vier Jahren Anspruch auf Leistungen in Höhe der Sozialhilfe haben. Die Bundesländer verfahren mit diesen Vorgaben unterschiedlich. Immer wieder wurde gegen sie, ebenso wie gegen die Residenzpflicht, protestiert.

Zahl der Abschiebungen

Die Zahl der Abschiebungen ist 2015 deutlich gestiegen: auf 20.888 Menschen. Im gesamten Jahr 2014 kam es zu 10.884 Abschiebungen.

 

»Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren – kommt nicht nach Baden­Württemberg, dort müsst ihr ins Lager.«
Lothar Späth, CDU-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 1982.

»Die Situation hat sich dramatisch zugespitzt, wenn jetzt nicht gehandelt wird, stehen wir vor der Gefahr einer tiefgreifenden Vertrauenskrise gegenüber unserem demokratischen Staat, ich sage mit Bedacht, ja eines Staatsnotstandes. Die Menschen erwarten von uns schnelle Lösungen. Und zwar Lösungen, die greifen und die dem Missbrauch des Asylrechts wirksam einen Riegel vorschieben.«
Bundeskanzler Helmut Kohl am 26.10.1992 im Deutschen Bundestag

»Abschiebungen: Da müssen wir sagen, sind wir noch längst nicht gut genug.«
Angela Merkel, in: Süddeutsche Zeitung, 15.10.2015

»Wenn nach den Erfahrungswerten im Schnitt jeder zweite Antrag negativ beschieden wird, dann stehen die Länder in der Pflicht, täglich tausend abgelehnte Asylbewerber abzuschieben.«
CDU Generalsekretär Peter Tauber, in: RP, 13.01.2016